Die Vorlage

»Kraft, Herrlichkeit« bezieht sich auf die Erzählung "Die Cherubim" von Georg Klein. Diese ist 2002 in dem Erzählungsband "Von den Deutschen" im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen.






DIE DREI I

Über das Verhältnis von Vorlage und Film
ein Text von Matei Bellu und Emilie Bujes

Kommentieren bedeutet überdenken, erläutern, auslegen. Ein Textkommentar ist in der Regel wiederum selbst ein Text. In dem Fall von Sebastian Bodirskys Arbeit „Kraft, Herrlichkeit“ aber haben wir es mit einem visuellen und auditiven Kommentar zu tun: einem Film.

Die Verfilmung einer literarischen Textvorlage setzt sich immer der Gefahr aus, die sensibel imaginierten Bilder im Kopf des Betrachters zu enttäuschen oder ihnen Gewalt anzutun. Von einem Kommentar hingegen erwartet man etwas anderes; eine interpretierende Kritik, die dem Gegenstand neue Facetten eröffnet. Dabei bleibt aber ein Kommentar seiner Textvorlage immer verbunden, trotz der Distanz und Schnoddrigkeit der es Bedarf, die Leerstellen an der Oberfläche der Geschichte zu öffnen, um dort seine eigenen Position einzuschreiben.

„Kraft, Herrlichkeit“ übernimmt die Figur des idealen Angestellten - gehorsam, fleißig, selbstlos – verschiebt aber seinen Assoziationshorizont, indem hier die Handlungen in das Setting eines wissenschaftlichen Experiments versetzt wird. Ein interdisziplinäres Expertenteam – „die besten ihres Faches“ – werden über Tage auf engsten Raum zusammenarbeiten ohne darüber im Klaren zu sein, dass ihre Beschäftigung nur Teil einer Simulation ist. Das Resultat ihrer Zusammenarbeit ist nur den Wissenschaftlern von vorne herein bekannt – die Verwandlung der Probanden in Cherubim. Das Ziel dieses Experiments ist es, die Ursachen dieser Verwandlung zu erforschen. Fast beiläufig ensteht dieser Film selbst als dessen Dokumentation.

Dabei gleitet die Darstellung des Experiments immer stärker ins Abstrakte, indem die Situation und die Figuren sich beständig von einer möglichen Realität entfernen, bis schließlich die Dialoge in einer sinnentleerten Symbolik nichts mehr aussagen. Genauso wie die Worthülsen einer pseudo-wissenschaftlichen Sprache, die auf nichts anderes mehr verweist, als eben auf sich selbst und damit, in einem tautologischen Zirkelschluss, alles aus sich heraus beschreibbar und erklärbar macht. Es sind nur noch Fragmente einer scheinbaren Universalsprache, die sich weit über das Wirtschaftliche hinaus, in das Politsche, Gesellschaftliche und Emotionale hinein geschrieben hat.

Die Erzählung „Die Cherubim“ spürt der Ambivalenz der deutschen Sprache in Richtung des Ökonomischen nach und legt dessen Nähe zu einem national geprägten Diskurs offen. Anders als Georg Klein, konzentriert sich der Film auf die Verschränkungen der ökonomischen und religiösen Sphäre. Er interessiert sich für die Mechanismen einer Produktionsrealität, die mit quasi-religiösem Eifer ihre eigene Optimierung und Rationalisierung verfolgen.

Der Prolog verknüpft die literarische mit der audio-visuellen Arbeit und etabliert gleichzeitig die filmischen Elemente. Dabei bildet das Experiment die Grundlage für die Form der filmischen Narration als „Film-im-Film“. Der Film hat dadurch vier verschiedene potentielle Zuschauer: die Wissenschaftler, die Experten und deren Interessenten und, nicht zuletzt, die Filmzuschauer. Die Einführung einiger narrativen Elemente aus der Erzählung wirken an dieser Stelle im Prolog zu eindeutig und verlieren an Leichtigkeit, während sie sich bei Georg Klein langsam entfalten. Aber die eigentliche Gemeinsamkeit zwischen dem Film und Erzählung liegt nicht in ihrer Geschichte, sondern in ihrem Verhältnis zur Sprache. Dort, wo die semantischen Ober- und Untertöne die Bedeutungen der Wörter modellieren, verschmelzen die Grenzen zwischen Politik, Ökonomie und Religion: Kraft, Herrlichkeit.

Mit fast religiösen Begriffen wie Erfüllung und Verwirklichung verklärt der ökonomische Diskurs seine materiellen Interessen. Dabei verschwindet natürlich nicht das ausbeuterische Verhältnis aus der Welt, sondern nur dessen Begriff, der in unverwandelter Form als Aufopferung oder eben als Selbstausbeutung am anderen Ende des Horizontes wieder erscheint.

Gegen diese Verklärung von Arbeit bietet der Film seinen eigenen Dilettantismus als Alternative und Widerstand an; Widerstand, weil es sich einer Verwertung entzieht, aber vor allem, weil es ein Sichtbar-Machen ermöglicht.


erschienen in EDIT Nr.40 / Frühjahr 2006