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Spezifisches Kino



Ins piratecinema geht man allein, grüßt nur ein bisschen beim Eintreten, unterhält sich eher gedämpft und eher zu zweit.
Der Film des Abends wird veranstalterseitig hochverehrt und leicht missachtet zugleich. Wer kommt, kennt die Emails, die Woche für Woche zum Screening einladen: scharfsinnig finden sie zu den Filmen und ihrem Zusammenhang stets ein, zwei neue Gedanken. Wie selten! Man will jedesmal kommen und die Thesen anhand des Films überprüfen, auch wenn man diesen schon kennt. Manchmal kommt man mit dem vagen Gefühl, dass es eigentlich auch genügen würde, den Text gelesen zu haben und zu wissen, dass irgendwo der Film zum Text gezeigt wird. Vielleicht, weil auch mal eine Kabelleiste mitten in der Projektionsfläche liegt. Oder der Ton so hallt, dass man die Dialoge kaum versteht. Der Film steht nicht wirklich im Mittelpunkt. So einfach die Veranstalter ihr Rezept präsentieren – nur heruntergeladene Filme werden gezeigt, die man sich im Laufe des Abends kopieren kann – so wenig ist das tatsächlich der Kern des Funktionierens von piratecinema. Die Emails besprechen selten ausschließlich den Film, nie nur seinen Inhalt, immer auch seine politische Implikation oder Herkunft. Sie sind das Versprechen eines Diskursraumes, der mit und neben der Projektion aufgemacht wird. Die Schieflage des Kinos, Urheberrechtsverletzung, Skurrilitäten von Volksbühne und KW, deutsche Gedenkkultur, Weiblichkeit gedacht als mit spezifischen Nachteilen verbundene soziale Konstruktion, Computerspiele, Propagandafilm. Man hat nicht an einer Diskussion dieser Themen teil, indem man zu dem Screening geht und gemeinsam den Film ansieht. Es wird keine Diskussion über sie geführt, aber es wird ein anderer Diskurs am Leben gehalten. Das politische Projekt, das derzeit weltweit unter dem Begriff des „geistigen Eigentums“ vorangetrieben wird, darf nicht in die Sphären der Spezialisten und Lobbyisten abtauchen, es steht in Verbindung mit einer ungemeinen Breite aktueller Phänomene und mit uns als Einzelnen. Das ist, was man mit jedem Film unterschreibt, den man im piratecinema sieht.

Ins Basso geht man und hat jemanden dabei. Und trifft noch jemanden auf dem Weg. Und gibt Küsschen denen, die dort schon gut aussehend auf einem Sofa lungern. Es liegt eine Vorfreude im Raum, die nicht drängt. Die Leute genießen noch eine Weile sich selbst, bevor sie sich an den Film geben.
Da ist keine Distanz zum Film, und auch der Film will einen ganz. Betörend, berauschend oder bedrückend. Was da im Laufe der Wochen kombiniert wird, verbindet die sinnlichen Exzesse und Obsessionen Einzelner mit den deprimierenden Exzessen der Gegenwart und Vergangenheit. Nicht der Einzelne ist pervers, sondern die Situation etc. Fast immer sind es radikale Lebensentwürfe, die von den Filmen transportiert werden. Immer wieder ist es der Körper, um den alles kreist. Basso ist nicht nur eine Filmreihe, sondern auch ein Raum, eine Gemeinschaft und ein Magazin. Wenn Yusuf über den Film spricht, kennt er fast das ganze Publikum. Sie schreiben für das Heft, geben Bilder, tanzen auf seinen und anderen Parties. Wenn er eine Einführung in den Film gibt, kann er auf dem Grat zwischen Ironie und Verbundenheit mit dem Film bleiben, weil es hier die Autorität des Expertentums nicht braucht, um gehört zu werden. Der Film muss nicht wichtig geredet werden, denn er wurde ausgesucht, weil er eben richtig ist für die Gemeinschaft, die Publikum und Veranstalter bilden. Film, der wirkt. Es mag Einbildung sein, doch die Distanz zwischen dem Handeln inner- und außerhalb der Projektion scheint kleiner, wenn man einen Film im Basso sieht. Die Filmreihen haben als Motto den Titel der nächsten Ausgabe des Magazins. Sie sind dabei nicht Recherche, sondern ermöglichen ein Leben zum Thema.


Das sind die Pole. Ein Kino des Kopfs und ein Kino der Körper begrenzen das Feld, auf dem zukunftsweisend mit Film umgegangen wird. So unterschiedlich die beiden beschriebenen Orte sind: sie beide machen kein Kino an und für sich, sie machen Kino als Mittel.
Filmprojektionen haben die große, alleinstellende Eigenschaft, eine Gruppe von Menschen für eine bestimmte Zeit in einer sehr spezifischen Erfahrung einen zu können. Üblicherweise verpufft dieses Gemeinsame, wenn die Gruppe sich nach der Vorführung zerstreut. Und sich immer weiter zerstreut. Die vergangenen 15 Jahre haben eine solche Differenzierung der Informationskanäle hervorgebracht, dass Menschen, die ihre Interessen verfolgen, kaum einen gemeinsamen gesamtheitlichen Bezugsrahmen haben. Mit steigender Wahlfreiheit sinkt die Dichte zwangsläufiger Beziehungen. Angesichts dessen ist eine Aktivität, die es schafft, die Gegenwart vieler dauerhaft in einer breiten gemeinsamen Erfahrung zu bündeln, an sich schon als politisch zu betrachten.
Film ist so allgegenwärtig und überreich vorhanden, dass man ihn nicht mehr in kanonischer Form denken kann. Die Figur des Cineasten hat ausgedient. Beamer und Filesharing-Netzwerke lösen zwei Vormachtstellungen der Filmtheater auf: Technologie und Distribution. Es ist nicht mehr notwendig, dass Kino für andere gemacht wird, man kann Kino für das Eigene machen. Für den eigenen Diskurs, die eigene Gemeinschaft, den eigenen Zweck. Die Frage der Aufmerksamkeit, die vom kommerziellen Kino an erster Stelle bearbeitet wird, steht da dann zurück hinter der Frage des Anknüpfungspunkts.
Piratecinema macht Kino, um einem abstrakten Diskurs die Breite zu geben, die ihm zusteht. Basso macht Kino als Futter für eine antikonventionelle Lebenspraxis. Beide zeigen nicht ohne Grund eine gewisse Respektlosigkeit dem Film gegenüber, den sie zeigen: Einerseits sind es zwar großartige Situationen und Erzählungen, die auf der Leinwand erscheinen, andererseits aber ist es eben auch nur ein Film. Zukunftsweisendes Kino zeigt nicht Filme, es zeigt Praxen (seien sie im Film abgebildet oder in die Art des Filmemachens eingeschrieben), die einer Gemeinschaft zu Gute kommen können. Temporäre Kinos! Diskursspezifisches Kino! Kino der bestehenden Gemeinschaften!
Ich rede nicht davon, einer Gemeinschaft einfach Filme zu einem bestimmten Thema zu zeigen. Ich schreibe bewusst Kino machen, mit all dem Anspruch, den das mit sich bringt: Sehnsüchte wecken, Idole produzieren, sichtbar machen, das eigene Medium reflektieren, Körper, Körper, das Leben schmähen, das Leben feiern. Nur wenn die Parataxe der Filme alles beinhalten will, bricht sie mit der Logik der Zerstreuung und Ausdifferenzierung.
Solches Kino weist einen Weg aus dem bürgerlichen Dilemma des voyeuristischen Blicks. Film, der für die eigene Gemeinschaft angeeignet und mit dem Wunsch der Anwendbarkeit seiner Inhalte behandelt wird, ist nicht mehr länger Objekt einer voyeuristischen Partizipationsphantasie. Die lähmende Haltung, alles ansehen zu können und müssen, weil man mit allem verbunden ist, steht einem tatsächlichen Handlungsimpuls nur im Weg. Politisches Kino heißt heutzutage, gemeinsam zu überlegen, welche Bilder man sich aneignet.









Sebastian Bodirsky, 2008
erschienen in Starship Magazine Nr. 11 (dort fehlt der erste Satz)

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